Ullrich Altmann

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Erinnerungskultur in den Bremer Wallanlagen

    Mein Freund Volker Homburg brachte mich auf den Gedanken, mich mit der von der von Prof. Jürgen Waller geschaffenen Gegensätzlichkeit des in den Wallanlagen als Lidice-Mahnmal bekannten Werks zu beschäftigen. Einerseits besteht dieses Mahnmal aus dem „Sterbenden Jüngling“; von den Nazis ge­wünscht und von Herbert Kubica 1936 geschaffen. Es sollte als Denkmal für die bei der blutigen Nieder­schlagung der Bremer Räterepublik umgekommenen 24 Soldaten des „Freikorps Caspari“ und der „Division Gerstenberg“ dienen. Pikante Anmerkung: Der Jüngling stand in der zeitgenössischen Kritik: Er war dann doch nicht heroisch genug. Prof. Jürgen Waller konzipierte 1989 das Ensemble „Lidice-Denk­mal“; be­ste­hend aus eben jenem Jüngling und ruinenhaften Elementen, die an die Vernichtung des Dorfes Lidice und die Ermordung seiner 173 männlichen Bewohner durch die deutsche Wehrmacht im Juni 1942 erinnert (die Frauen wurden in Konzentrationslager deportiert und die Kinder zur „Eindeutschung“ verschleppt).

    Der Gedanke ist: Das eine zieht das andere nach sich, und es wird uns durch diese Gegensätzlichkeit vor Augen geführt, welche fürchterlichen Folgen es hat, lässt man nationalistischen und menschen­verachtenden Kräften Raum zur Entfaltung. Unterdrückung, Misshandlung und Ermordung Anders­den­kender sind am Ende das Handwerkszeug dieser Kräfte, lässt man sie gewähren.

    Ich gehe in Richtung Kunsthalle und finde neben dem Wilhelm-Wagenfeld-Haus versteckt hinter einem massiven Gitterzaun mit abschreckenden Spitzen die 1947 von Fritz Cremer geschaffene Statue „Freiheitskämpfer“. Sie soll an die durch die Gestapo gefolterten und hingerichteten Freunde Cremers erinnern. Er wurde 1983 mit dem Bremer Bildhauerpreis geehrt, und aus diesem Anlass übergab er Bremen einen Nachguss seines in Berlin stehenden Werkes. Die Statue wurde 1984 zunächst links des Wilhelm-Wagenfeld-Hauses in den Wallanlagen aufgestellt und hatte damit einen wesentlich exponierteren Platz. Übrigens: Während der Zeit des Dritten Reiches diente das Wilhelm-Wagenfeld-Haus der Gestapo zur Unterbringung Hunderter politisch verfolgter Männer und Frauen.

    Weiter geht es hinter der Kunsthalle auf die Altmannshöhe zum 1935 eingeweihten gleichnamigen Ehrenmal des Bremer Bildhauers Ernst Gorsemann. Es besteht aus einer imposanten Ringmauer; in diese sind 10.000 Klinkersteine mit den Namen von im ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten eingearbeitet. Oberhalb der Namenssteine „ziert“ ein umlaufender Sinnspruch den Kopf der Mauer. Innen ist ein Stein­sarkophag mit Gedenktext aufgestellt. 1936 fügte Gorsemann gegenüber dem Eingang die Skulptur „Mutter mit Kindern“ hinzu. Abgesehen von einigen Beschädigungen der Kriegs- und Nachkriegszeit an den Namenssteinen und der gezielten Entfernung von sechs in den Machtkämpfen vor 1933 um­ge­kom­menen Nationalsozialisten ist die Anlage unverändert erhalten, einschließlich der Würdigung der an der Niederschlagung der Bremer Räterepublik beteiligten gefallenen Soldaten. Wiederholt nutzten daher rechtsradikale Gruppen die Anlage zu Versammlungen und Kundgebungen für militaristische und rassistische Ziele, daraufhin wurde der Mauerring durch ein Gittertor verschlossen.

    Noch in den Wallanlagen, oberhalb des Pumpwerks nahe dem Osterdeich befindet sich seit 1934 das Kriegsgefangenen-Ehrenmal (Entwurf und Ausführung: Rudolf Richter und Herbert Kubica) zum Ge­den­ken der deutschen Soldaten, die während des ersten Weltkriegs in Kriegsgefangenschaft starben. 1951 wurde die Inschrift um die im zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft gestorbenen Soldaten ergänzt.

    Ich sehe Kriege und das durch sie ausgelöste Elend als eine weitere Folge der damals ungehinderten Ausbreitung des oben erwähnten nationalistischen Gedankenguts. Es werden junge Menschen als Sol­daten verheizt, um politisch und wirtschaftlich gewollte Kriege zu gewinnen. Gleichzeitig wird deren Tod als „gefallen“ und „ums Leben gekommen“ umschrieben und zusätzlich noch als ehrenhaft glorifiziert. Der Satz: „Wehret den Anfängen“ ist nicht erst seit gestern aktuell. Bedauerlich, dass unsere Er­inne­rungs­kultur an Gleichgültigkeit grenzt. Es ist noch ein weiter Weg zur Überschrift der Texttafel am Lidice-Denkmal: Erinnern für die Zukunft.